Gerne möchten wir Ihnen hier einige konkrete Beispiele vorstellen, wie Wohnprojekte an anderen Orten umgesetzt wurden. Dazu stellen wir Ihnen zunächst zwei Projekte vor, die sich mit der Unterstützung einer GmbH (dem Mietshäuser-Syndikat) als eigene GmbH organisieren. Danach werfen wir einen Blick auf verschiedene Genossenschaftsmodelle, unter denen sich einige als unabhängige Genossenschaften gegründet haben, eines aber auch als Dachgenossenschaft den Beitritt unterschiedlicher Wohnprojekte ermöglicht. Zuletzt wollen wir Ihnen einen Einblick in ein Projekt zur Schaffung einer Gemeindemitte gewähren – ganz ähnlich zum Wohnprojekt „Ortsmitte, bitte – Wohnen für alle!“ in Öhningen.

Mittlere Mühle e.V. (Tengen)

Die Mittlere Mühle ist selbstorganisiert, sozial, ökologisch und gemeinschaftlich und versteht sich nicht nur als Wohn-, sondern auch als Lebensprojekt. Ebenso wie die Alte Feuerwache Weimar (siehe unten) ist sie Teil des Mietshäuser Syndikats. Damit geht einher, dass das Haus unverkäuflich ist und nicht Individuen gehört, sondern einer GmbH, die aus dem Mietshäuser Syndikat und dem Verein Mittlere Mühle e.V. besteht. Ziel der Mittleren Mühle ist es, Wohnraum für alle zu schaffen. Das Projekt existiert seit 2015. Mitte 2016 waren ausreichend Direktkredite zur Verfügung gestellt worden, dass das Haus gekauft werden konnte.

Im Allgemeinen stellen Direktkredite ein wichtiges Element in der Finanzierung und Unterstützung der Mittleren Mühle dar. Diese werden mit bis zu 1,5% verzinst und sind als Investition in das Projekt und seine Ziele zu verstehen. Direktkredite werden deshalb so gerne von Wohnprojekten genutzt, da die Höhe von Bankkreditzinsen eine Mietpreissteigerung bewirken, die bei Direktkrediten weniger stark ausfällt. Außerdem können durch Bankkredite oftmals nur Teile der Investitionskosten finanziert werden, und dann auch nur unter der Bedingung, dass der Rest in Form von Eigenkapital vorliegt. Gibt man einen Direktkredit an ein Wohnprojekt, so legt man einen Teil der eigenen Ersparnisse direkt dort an, ohne eine Bank als Mittler, die ihre Kosten decken und Gewinn machen will.

Dennoch stellt sich die Frage, warum nach Abschluss des Bauprojekts nun noch das Wohnprojekt mit Direktkrediten finanziert wird. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Einerseits kann der Bankkredit, mit dem der Rest des Kaufs finanziert wurde, mit Direktkrediten getilgt werden und senkt somit die Zinslast für das Wohnprojekt. Andererseits laufen viele der befristeten Direktkredite, die für den Kauf notwendig waren, mit der Zeit aus und müssen abgelöst werden. Denn während Direktkredite unbefristet mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten gegeben werden, können sie auch mit einer Laufzeit von sechs Monaten oder mehr befristet werden. Eine gewünschte Verlängerung durch die kreditgebende Person ist dabei einfach umsetzbar.

Für einen genaueren Einblick in das Projekt „Mittlere Mühle“ in Tengen besuchen Sie dessen Website: https://mittlere-muehle-tengen.de/.

Alte Feuerwache Weimar e.V.

Die Alte Feuerwache Weimar ist ein Wohnprojekt „von und für Menschen aus Weimar“ und steht im kollektiven Eigentum der Personen, die dort leben werden. Auch diese Baugemeinschaft hat sich für das Modell mit Unterstützung des Mietshäuser-Syndikats entschieden. Der Verein Alte Feuerwache Weimar e.V. und das Mietshäuser-Syndikat sind dabei die beiden Gesellschafter der Alten Feuerwache Weimar Projekt GmbH. Aufgrund dieses Modells unterliegt der Prozess dort regelmäßig kritischen Supervisionen von außen. Weiterhin schließen diese Zusammenarbeit, sowie der Gesellschaftsvertrag der Alten Feuerwache Gewinne und Spekulationen aus. Die größte Herausforderung, vor der das Projekt stand, war die Finanzierung des Immobilienkaufes, da dafür nur sechs Monate Zeit waren. Allerdings konnte der Verein durch eine sehr erfolgreiche Direktkreditakquise einen Eigenkapitalanteil von fast 20% aufbringen. Direktkredite sind private Investitionen in soziale und regionale Wertschöpfungsprozesse. Die akquirierten Direktkredite wurden von Vereinsmitgliedern, Freund*innen, Familienangehörigen, Menschen aus der Quartiersnachbarschaft, Sympathisant*innen, Unternehmen und Institutionen gewährt. Dabei investierten die Kreditgeber*innen von kleinen Beträgen bis 1.000€ bis zu Summen über 10.000€ in das Quartiersprojekt, das dauerhaft bezahlbaren Wohnraum, Mietflächen zum Arbeiten, für Kultur- und Sportangebote schaffen will. Außerdem sollen der Hof als Quartiershof mit einem Bioladen, einem Café, einem Spielplatz, einem Aussichtsturm und sowie die Vereinsräume öffentlich nutzbar sein. Durch die Mieteinnahmen nach der Fertigstellung wird eine moderate Verzinsung der Kredite zwischen 0,5 und 1,75% jährlich möglich sein. Direktkredite haben Kündigungsfristen von 6 bis 12 Monaten, und können daher, wenn die Kreditgeber*innen ihr Geld wieder benötigen, einfach gekündigt werden. Allerdings haben Direktkreditgeber*innen nur nachrangige Stellung im Fall der Insolvenz der GmbH, sodass gegebenenfalls das eingesetzte Vermögen teilweise oder komplett verloren werden kann. Seit 1992 ist jedoch nur eines der 154 Projekte des Mietshäuser-Syndikats insolvent gegangen.

Für mehr Informationen über dieses Projekt können Sie die Website der Alten Feuerwache Weimar e.V. besuchen: https://feuerwache-weimar.de/start.html.

Pro… Wohngenossenschaft Stuttgart

Hinter der Pro… Wohngenossenschaft Stuttgart steht die Idee als Genossenschaft eine Selbsthilfeorganisation für Baugemeinschaften zu bilden. Da die Genossenschaft gemeinschaftlich Eigentum an Immobilien erwirbt, erleichtert sie die Umsetzung von Wohnprojekten. Mit ihrer Hilfe wurden bereits drei gemeinschaftliche Projekte in Stuttgart, sowie Projekte in Esslingen, Gerlingen, Heidelberg, Lampertheim, Ludwigsburg, Schorndorf, Schwäbisch Hall und Waiblingen realisiert. Die Genossenschaft schafft die baulichen und organisatorischen Rahmenbedingungen, ausgestaltet werden die Wohnprojekte von den Baugruppen. Finanzielle Mittel wurden im Beispielfall des Projektes Wabe e.V., das über die Pro… Wohngenossenschaft Stuttgart organisiert wurde, über Genossenschaftsanteilserwerb durch die Mieter*innen akquiriert. Außerdem wurde das Projekt durch ein Darlehen der Landeskreditanstalt gefördert.

Für mehr Informationen über die Pro… Wohngenossenschaft Stuttgart können Sie deren Website besuchen: https://www.pro-wohngenossenschaft.de/

Dort finden Sie auch die verschiedenen Projekte, die die Genossenschaft unterstützt hat.

KoDorf Tengen

Das Projekt KoDorf Tengen ist eines von vielen KoDörfer. Diese haben Rahmenvorgaben für den Bau und bestehen damit aus kleinen Holzhäusern und großzügigen Gemeinschaftsflächen, wie beispielsweise gemeinschaftlichen Essbereichen, Werkstätten oder einem Dorfladen. Ziel der KoDörfer ist, individuelles Wohnen und gemeinschaftliches Leben zu vereinen. Den Orientierungsrahmen bilden dabei ökologisches Bauen und die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum.

In Tengen sollen 36 Wohneinheiten auf sechs Wohnhöfen, sowie zwei Gemeinschaftshäuser geschaffen werden. Da sich das Projekt in Tengen aktuell in der Umsetzung befindet, ist noch nicht klar, ob die Fläche an eine Genossenschaft verkauft oder langfristig verpachtet werden soll. Die Bürger*innen werden an der Planung beteiligt, gebaut werden soll das KoDorf in genossenschaftlicher Form. Die VielLeben eG ist dabei die auftraggebende Instanz. Sie nimmt einen Kredit über 70% der Investitionskosten auf, der schrittweise von den Bewohner*innen über die Miete getilgt wird. Im Gegenzug erhalten sie lebenslanges Wohnrecht auf dem Gelände. Die restlichen 30% werden in Form von Eigenkapital durch die Genossenschaftsmitglieder eingebracht. Von der Stadt wird vertraglich festgeschrieben, dass auf der Fläche nur ein KoDorf errichtet werden darf, oder sie zurück an die Stadt fällt, um Spekulationen zu verhindern.

Über die Pläne zum KoDorf Tengen erfahren sie mehr unter diesem Link: https://www.tengen.de/pb/home/wirtschaft+_+bauen/kodorf+tengen.html.

Gemeinschaftlich Leben Hochrhein-Bodenseeregion (GLH) eG

Die OEKOGENO GLH eG setzt ein genossenschaftliches Wohnbauprojekt mit 55 Wohneinheiten in Tiengen um. 32 der Wohnungen sollen für den Eigentumserwerb zur Verfügung stehen, die restlichen 23 gehören zu einem inklusiven, genossenschaftlichen Mehrgenerationen-Wohnprojekt. Darüber hinaus sind 12 Grundstücke für Einfamilienhäuser vorgesehen. Auf dem Grundstück sollen viele Gemeinschaftsflächen entstehen, darunter ein Gemeinschaftsraum und ein Gästeappartement. Alle Räume des Wohnprojekts sind barrierefrei geplant und pflegegerecht ausgestattet.

Das Grundstück wurde von der Genossenschaft gekauft, die auch die auftraggebende Instanz ist und die Immobilie betreibt. Mit dem Genossenschaftsmodell geht natürlich auch hier lebenslanges Wohnrecht einher. Die Mietkosten berechnen sich aus den Betriebs- und Finanzierungskosten und bleiben damit dauerhaft bezahlbar. Finanziert wird das Projekt durch Wohn- und Fördergenoss*innen. Während Wohngenoss*innen eine (im Falle des Auszugs) rückzahlbare Genossenschaftseinlage und Miete zahlen, unterstützen Fördergenoss*innen das Projekt durch Kapitaleinlagen von mindestens 100€, die bei der Zeichnung von mindestens 10 Anteilen eine Dividende abwerfen. Diese Dividende wird momentan auf 2,8% jährlich prognostiziert.

Für mehr Informationen über die OEKOGENO GLH eG können Sie deren Website besuchen: https://www.oekogeno-glh.de/home/.

Neue Mitte Salem

Auch wenn es sich bei der „Neuen Mitte“ in Salem nicht um ein Bau- / Wohnprojekt per se handelt, ist die Schaffung einer zentralen Mitte als Ortszentrum von Salem auch ein interessantes Projekt für Öhningens „Ortsmitte, bitte – Wohnen für alle!“. Nachdem die Gemeinde Salem lange Zeit keinen zentralen Ortskern hatte, da sie historisch aus 11 ehemals selbständigen Gemeinden zusammengeschlossen ist, bestand der Wunsch nach einer Gemeindemitte – in der geographischen Mitte der Gemeinde. Dort wurden ein Bildungszentrum, Sportanlagen, ein Feuerwehrgerätehaus, eine Rettungswache und ein Postamt angesiedelt. Auch private Geschäfte und Läden finden sich in diesem Gebiet. Darüber hinaus gibt es in der „Neuen Mitte“ eine Senior*innen-Wohnanlage mit knapp 80 Wohnungen, die in den kommenden Jahren um 80-100 Wohnungen erweitert werden soll. Auch wenn bisher durch die vorgenommenen Maßnahmen noch keine tatsächliche Gemeinde-Mitte entstehen konnte, soll dieser Prozess durch den weiteren Ausbau des Gebiets gestärkt werden. Unter anderem zu diesem Zweck werden aktuell sechs Doppelhaushälften und 50 Eigentumswohnungen (davon zehn geförderte) in drei Mehrfamilienhäusern errichtet, die im Spätsommer 2022 bezugsbereit sein sollen.

Auf der Website des bouwfonds Immobilienentwicklung ist der Projektprozess dieser Wohnungsschaffung vom Vertriebsstart im März 2018 bis zum Ausverkauf im März 2021 anschaulich dokumentiert und bietet eine gute Orientierung dafür, wie eine vergleichbare Zeitschiene für das Wohnprojekt in Öhningen aussehen könnte: https://www.neubau-bodensee.de/aktuelles-salem-neue-mitte.